Samstag, 26. Oktober 2013

Im Erdkern sitzt ein riesiger Stabmagnet, oder?

Betrachtet man das Magnetfeld der Erde in größerer Entfernung, so sieht es aus, als ob dieses von einem riesigen, gekippten Stabmagneten kommt, der um ca. 450 Kilometer aus dem Erdmittelpunkt in Richtung 140° östlicher Länge verschoben ist.1 Und obwohl eine Kompassnadel immer nach Norden zu zeigen scheint, stimmen die magnetischen Pole nicht ganz mit den geographischen Polen überein. Der "Magnet" im Inneren der Erde ist momentan um etwas mehr als 11° gegenüber der Erdrotationsachse geneigt.
Bild des Erdmagnetfeldes, welches gegenüber der Erdachse geneigt ist.
(Credit: Universität Bremen, von Wikimedia Commons)
Doch wie kommt dieses Magnetfeld überhaupt zustande? Sitzt wirklich ein gigantischer Stabmagnet mit einer roten und einer grünen Hälfte inmitten des Erdballs? (Sind seine Hälften womöglich sogar mit "N" und "S" beschriftet?)
Wissen wir eigentlich etwas über die Ursache unseres globalen Magnetfeldes? Ich meine, das tiefste Loch, das Menschen jemals gegraben haben, ist nur ein paar lächerliche Kilometer tief - nichts im Vergleich zu den etwa 6400 Kilometern bis zum Erdmittelpunkt! Noch nie konnte also jemand direkt in den Erdkern schauen und einen großen Stabmagneten sehen.
Naja, dass ein Stabmagnet, wie man ihn aus den Physikschulbüchern kennt, tatsächlich in dieser Form im Inneren der Erde steckt, ist von vornherein wohl eher unwahrscheinlich. Doch wäre eine andere Form eines solchen Magneten denkbar, die das gleiche Magnetfeld erzeugt und natürlich entstanden sein könnte?

Nun ja... Da wir, wie es aussieht, nicht hinuntergraben und nachsehen können, müssen wir versuchen, den Ursprung des Erdmagnetfelds auf eine andere Art herauszufinden.

Dazu ist es hilfreich, sich ein paar Eigenschaften von Magneten in Erinnerung zu rufen.
Magnetismus entsteht durch das Zusammenspiel von unzähligen Dipolmomenten atomarer Größe. In vielen Stoffen findet man Unmengen dieser kleinen Dipolmomente. Stellt euch diese einfach als winzig kleine Stabmagneten vor, die an die atomaren Teilchen des Materials gebunden sind. Wie immer und überall im Universum zittern und schwingen die Teilchen umher (aufgrund ihrer Temperatur, die immer über dem absoluten Nullpunkt von -273,15 °C liegt) - dabei werden die kleinen Stabmagnetchen (= magnetische Dipolmomente) mancher Materialien so stark durcheinandergeschüttelt, dass sie sich ohne Einwirken eines äußeren Magnetfeldes nicht alle in eine Richtung ausrichten können. (Man nennt solche Materialien dann "paramagnetisch". Diese sind als ganzes "von selbst" nicht wirklich magnetisch - sie verstärken allerdings ein Magnetfeld, das von Außen angelegt wird.)
Es gibt allerdings auch andere Stoffe, in denen die thermischen Schwingungen nicht stark genug sind, um all die winzigen Dipolmomente durcheinanderzuschütteln. Die Stabmagnetchen dieser Materialien richten sich spontan in (mehr oder weniger) eine Richtung aus. Solche Materialien nennt man "Ferromagnete" - das sind also diejenigen Stoffe, die wir im Alltag meinen, wenn wir von Magneten sprechen.
Erhöht man die Temperatur in solchen Ferromagneten immer mehr, zittern die Teilchen innerhalb immer mehr und mehr, bis eine schöne Ausrichtung der magnetischen Dipolmomente nicht mehr möglich ist. Ab einer gewissen Temperatur werden also die atomaren Stabmagnete so start "durchgeschüttelt", dass eine Magnetisierung im makroskopischen Stil nicht mehr möglich ist. Wir haben also wiederum lauter kleine magnetische Dipolmomente, deren Ausrichtung statistisch über alle Raumrichtungen verteilt ist. Dies entspricht wiederum dem Zustand von Paramagneten.
Die Temperatur, ab der Ferromagnete plötzlich paramagnetisch werden, nennt man die Curie-Temperatur TC.

Allen, die (so wie ich) nichts gegen eine bildhafte Darstellung dieser ganzen Beschreibung haben, möchte ich das Video "MAGNETS: How Do They Work?" von MinutePhysics und Veritasium nahelegen. Es erklärt auf faszinierend einfache Art das Entstehen verschiedener Arten von Magnetismus.
Außerdem gibt es von Henry Reich (MinutePhysics) ein interaktives Periodensystem der Elemente, das einen die Änderungen von z.B. ferromagnetisch auf paramagnetisch in Abhängigkeit der Temperatur veranschaulicht.

Nun gut - wir wollen aber immer noch herausfinden, ob im Inneren der Erde ein riesiger Stabmagnet sitzt, richtig?
Mit dem soeben besprochenen Wissen können wir dies nun leicht in Erfahrung bringen:
Stabmagnete sind ferromagnetisch. Jedoch wissen wir durch andere Überlegungen, dass alle ferromagnetischen Gesteine im Inneren der Erde eine Temperatur oberhalb der Curie-Temperatur haben. Sie sind somit nicht mehr ferromagnetisch, weshalb das Erdmagnetfeld somit nicht einfach durch einen großen Magneten zustande kommen kann! Obwohl wir noch nie bis zum Erdkern gegraben haben, können wir also diese Art der Magnetentstehung ausschließen.
Simulation des Erdmagnetfelds.
In größerer Entfernung sieht es aus wie das Feld eines magnetischen Dipols.
(Credit: Gary A. Glatzmeier, von Wikimedia Commons)


Was erzeugt dann das globale Magnetfeld?
Der dänische Physiker und Chemiker Hans Christian Ørsted entdeckte bereits im Jahre 1820 während einer seiner Vorlesungen die Ablenkung einer Kompassnadel in der Nähe eines stromdurchflossenen Leiters. Durch bewegte Ladungen (= Ströme) konnten also offenbar Magnetfelder erzeugt werden. (Etwas mehr als 40 Jahre später gelang es James Clerk Maxwell, die mathematische Theorie des Elektromagnetismus zu formulieren, die dieses Phänomen, sowie alle anderen elektromagnetischen Erscheinungen, erklären konnte.)
Elektrische Ladungen, die sich bewegen, erzeugen also ein Magnetfeld. Dies trifft nicht nur auf Stromkabel und ähnliches zu, sondern auch auf das Innere der Erde!

Das Magnetfeld der Erde entsteht also durch Magmaströme aus elektrisch geladenen Teilchen im flüssigen Inneren der Erde. Diese Ringströme verlaufen symmetrisch zur Dipolachse. Sie entstehen aufgrund verschiedener Temperaturgefälle im Erdinneren ("flüssige Materie steigt auf, kühlt ab, sinkt wieder nach unten"), aufgrund dynamischer Effekte, die eine Relativbewegung der Flüssigkeit gegen den festen Teil der Erde hervorrufen, und aufgrund anderer Ursachen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte.

Es sprechen auch andere Beobachtungen dafür, dass das Erdmagnetfeld durch Ströme im Inneren entsteht, z.B. die kleinen lokalen Unterschiede, die man vielerorts messen kann oder die langsame Veränderung des globalen Magnetfeldes.


Wir haben also, ohne wortwörtlich zum Erdkern graben zu müssen, herausgefunden, dass im Inneren der Erde kein großer Stabmagnet steckt, sondern das Magnetfeld durch Ringströme von geladenen Teilchen entsteht. Dazu mussten wir nicht einmal unseren Schreibtisch verlassen, wie praktisch! ;-)



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1 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Erdmagnetfeld#Form_und_St.C3.A4rke


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